2021-09-19

50 Jahre – fast ein ganzes Leben – mein Leben

Wie es weiterging! (Teil 2)1983_Schlosshof002.jpg

Jetzt, im Herbst 1971, waren wir also die Tanzgruppe der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn mit einem Vorstand aus den Reihen der „Landsleute“, zuständig für den Erhalt der Tradition und die Verbindung zur Landsmannschaft und unserem Tanzleiter Albert Kist, der mit uns weiter machten wollte, bis wir auf eigenen Beinen stehen konnten.
Es konnte uns nichts Besseres passieren! Geprägt von Alberts sportlichen Ansprüchen als Balletttänzer waren ab jetzt Aufwärmtraining, Gymnastik, Haltungsübungen und Schrittetraining ein wesentlicher Bestandteil der Übungsabende. Die Tänze nahmen an Tempo und Variationen zu nach dem Motto: „Keine Figurenabfolge doppelt und hüpfen und springen statt gehen – schließlich sind wir keine alten Leute!“
Was für ein Segen! Tanzen wurde zur sportlichen Herausforderung und diejenigen, die seither geturnt hatten (darunter auch ich), fanden eine neue sportliche Heimat. Es trennte aber auch „die Spreu vom Weizen“. So manche(r) stieß an konditionelle Grenzen und zog sich auf die passive Seite der Gruppe zurück, heißt: sie unterstützten uns weiterhin ideologisch, bei der Trachtenpflege und bei gesellschaftlichen Anlässen. Auch solche Leute braucht man!
Außerdem gab’s ja noch Kinder im näheren Umfeld (von 6-12 Jahren), die man einsammeln und zur Kindertanzgruppe formen konnte. Ein cleverer Schachzug, wie sich später noch herausstellen wird.

So marschierten wir  1x die Woche ins Training und lernten zunächst ungarndeutsche, donauschwäbische und andere deutsche Tänze, Haupsache sie waren flott und abwechslungsreich, natürlich mit dem Ziel, sie vor Publikum aufzuführen. Volkstanz sollte lebendig bleiben.
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Versetzen wir uns also kurz zurück in die 70-er Jahre: Ganz Deutschland war in Aufbruchstimmung, die Wirtschaft brummte, man konnte sich alles leisten, sofern man das Geld hatte.  Die Kinder sollen es mal besser haben als die Eltern. Der Blick ging nach vorn!
Aber es gab auch den „Eisernen Vorhang“, der Ost und West trennte und für viele der Vertriebenen den Weg in die „alte Heimat“ selbst zu Besuchszwecken unmöglich machte.

In diesem Kontext veranstalteten die meisten Landsmannschaften jährliche Treffen, seien es Schwabenbälle am Jahresanfang oder Kirchweihfeste im Herbst. Hier traf man sich, erzählte von „Daheim“, ließ Vergangenes und Verlorenes wiederaufleben und half sicherlich durch Gespräche das Erlebte unbewusst aufzuarbeiten. Und da waren wir, die das verlorene Lebensgefühl ihrer Jugend mit unseren Auftritten,  mit Tanz und Tracht für einen Abend zurückbrachten.

Das Trachtentragen hatten wir schon, jetzt kam dekoratives Herumstehen dazu, gekrönt vom ein oder anderen Ohnmachtsanfall, wenn die Redner mal wieder kein Ende fanden.
Á pro pos Redner: Da bekamen wir ja schon, ob wir wollten oder nicht, ein Stück traditionelle (politische) Bildung mit. Hat auch nicht geschadet.

Unsere flotten Tänze begeisterten das Publikum und die Vorstandschaft war ziemlich stolz auf uns (das wird noch wichtig), aber wir wollten mehr!

Vorbild war Alberts donauschwäbische Tanzgruppe in Reutlingen. Die hatten einen deutlichen Vorsprung und ein wesentlich größeres Repertoire. Sie tanzten,  bedingt durch Alberts Vorgeschichte,  russische, jugoslawische (so hieß das damals noch) und rumänische Tänze. Das war’s, das wollten wir auch! Schnelle Schrittwechsel, Drehungen allein oder Paarweise, Sprünge, Hebefiguren, temperamentvolle Tanzformen und mitreißende  Melodien das waren die neuen Herausforderungen, die uns reizten. Uns allen voran Hartwig Ungethüm, der Albert als zukünftiger Tanzleiter beerben sollte.
Wir läuteten im Folgenden eine neue Ära ein.
Mit den deutschen Trachten – wir Mädchen konnten uns ja nicht mal damit hinsetzen – waren die Grenzen der schwungvollen Tänze erreicht, es mussten neue Trachten her, mit denen auch osteuropäische Tänze getanzt werden konnten.
Damit fingen die Probleme an: 
1. Unsere Elterngeneration, die auch in der Gruppe noch das Sagen hatte, hatten an Osteuropa keine guten Erinnerungen, wurden sie doch von dort vertrieben.
2. Unser Traditionsbewusstsein hielt sich noch ziemlich in Grenzen. Die neuen Trachten sollten neutral sein (also für alles taugen), praktisch bezüglich Bewegungsfreiheit sein und ein bisschen schick konnte auch nicht schaden, was hieß: Höchstens knielange Röcke, schließlich war Mini modern.
3. Kosten durfte es auch nix, wir hatten ja kein eigenes Geld und waren auf Sponsoring der Landsmannschaft angewiesen.
4. Ganz nach dem Motto: „Unsere Kinder sollen es mal besser haben“ hatten wir alle eine ziemlich hohe Schulbildung, ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, wir waren erfolgreich und viele und wir wollten tanzen und das auch zeigen!

In dieser Gemengelage haben wir es geschafft! In vielen anstrengenden Diskussionen – zugegeben, ein wenig Erpressung war auch dabei – konnten wir die Vorstandschaft davon überzeugen, dass wir die ungarndeutsche Tradition bewahren und pflegen wollen (Trachten tragen, deutsche Tänze tanzen bei Schwabenbällen dekorativen Hintergrund bilden), aber auch durch den Tanz zur Völkerverständigung beitragen möchten. Die Herkunftsländer unserer Eltern haben schließlich auch in deren Tradition über die Zeiten hinweg ihre Spuren hinterlassen. Das wollten wir in den Tänzen aufgreifen.
Ganz ehrlich! – Es hat auch viel mehr Spaß gemacht und die ganze Truppe blieb bei der Stange!

Fazit: Wir bekamen die neuen Trachten !
Ich ziehe heute im Nachhinein den Hut vor unseren Eltern, die damals den gewaltigen Sprung über ihren Schatten gemacht haben, uns laufen ließen und, wenn auch manche zähneknirschend, den neuen Weg mit uns gegangen sind!

Wie es von da an weiterging - Fortsetzung folgt!
Bis dahin eure Babs

J H - 16:29 @ 50 Jahre