2022-09-19

50 Jahre UFE - Beinahe ein ganzes Leben Teil 15

15_1991_Bebenhausen_Gncz.jpgAngekommen im Profilager anno 1987? Wollten wir da überhaupt hin? Diese Frage stellten wir uns zu dieser Zeit gar nicht. Zunächst profitierten wir sehr von der professionellen Herangehensweise für unsere weiteren Auftritte, da griff ein Rädchen ins andere. Wir lernten weiterhin einen neuen ungarischen Tanz pro Jahr und bekamen so ein Spektrum, das sich quer durch Ungarn zog. Unsere Trachten benötigten mittlerweile einen eigenen Schrank (wir hatten für jeden Tanz eine spezielle Tracht, die Mädchen nannten ca. 50 Trachtenteile ihr eigen) und zu Auftritten reisten wir mit Gepäck, das auf „Auswandern“ schließen ließ. Ansonsten machte uns das Gruppenleben einfach Spaß. Wir freuten uns, ein Hobby zu betreiben, das nicht jeder hatte, auf hohem sportlichem Niveau, das jeden seinen Fähigkeiten entsprechend forderte und das uns auch öffentliche Anerkennung einbrachte. Wir hatten den „Volkstanz“ aus seiner angestaubten Ecke geholt.
1989 – Der Vertrag zur Städtepartnerschaft mit Bonyhád war unterschriftsreif, der 1. Festakt sollte in Ungarn stattfinden. Eingeladen war eine große Delegation aus Wernau und die Verwaltung bot alles auf, was unsere Stadt an Kunst, Kultur, Geschichte und Wirtschaftskraft zu bieten hatte – so ca. 150 Menschen und wir mittendrin. Den ersten Teil der Reise bis Graz absolvierten wir mit der Bahn!! In drei Sonderwaggons. Durch unsere bisherigen Ungarnfahrten hatten wir Erfahrung in „Langstreckengruppenreisen“ und die eigens dafür zusammengestellten Liederbücher griffbereit. Die musikalische Begleitung lieferte der Musikverein, auch sie konnten „Lompaliadla“ auswendig spielen, also: Der „Festwaggon“ gehörte uns. Bis München hatten wir uns warm gesungen. Dann – die Bahn war damals schon zuverlässig – mussten wir umsteigen. D.h. die Waggons wurden umgekoppelt, 150 Leute raus auf den Bahnsteig. Stellt euch mal vor: eine Tanzgruppe, ein Musikverein, beide jeweils in Hochform, ein gaaaanz langer Bahnsteig und der „Zillertaler Hochzeitsmarsch“. Wir waren einfach ein „Dreamteam“ und rockten den Münchner Bahnhof bis der bayerische Amtsschimmel in Form einer Polizeistreife zuschlug. Naja, nach klärenden Worten unseres BMs ging Ali mit der Polizeimütze beim „Publikum“ Kreuzerle sammeln. Es war eine unvergessliche Mordsgaudi. In Graz sind wir in Reisebusse umgestiegen um nach einer gefühlten Ewigkeit in Bonyhád mit einem Wasserglas voll bestem Pálinka willkommen geheißen zu werden. Jetzt hieß es Haltung bewahren, Augen zu und durch. Wir wurden alle privat untergebracht, die ungarische Gastfreundschaft war unbeschreiblich.
Der Musikverein und wir waren Wernaus kulturelles Aushängeschild und mussten für die Auftritte bei den Festakten proben. Wir hatten einen eigenen Zeitplan und konnten daher nicht an allen Besichtigungsangeboten teilnehmen. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel – leider! Der Weinkeller war einfach zu interessant und so mussten wir, auf Grund gewisser Koordinationsschwierigkeiten einzelner Tänzer vor dem Auftritt die Aufstellung kurzfristig ändern. Den Anschiss nach dem Auftritt hat sich keiner hinter den Spiegel gesteckt. Zukünftig hieß es: Erst tanzen dann trinken.
Zur Strafe wurde dann auch noch am Sonntag Kirchgang in Tracht befohlen. Wir waren „anwesend“ und die Hochachtung der Bonyháder war uns sicher.
Auch unser ungarisches Tanzprogramm nötigte den tanzkundigen Ungarn höchsten Respekt ab und hinter den Kulissen wurden wir bis in parlamentarische Kreise als – Achtung: „beste deutsche ungarisch tanzende Gruppe im Ausland“ gehandelt.
Das führte uns 1990 ins Stuttgarter Rathaus zum Auftritt bei einer Vertragsunterzeichnung für das ungarische Kulturinstitut, sowie nach Sindelfingen zum Empfang des ungarischen Ministerpräsidenten Jószef Antall. Gekrönt wurde die Serie 1991 mit dem Auftritt beim Empfang des ungarischen Staatspräsidenten Arpád Göncz und der LDU durch die Landesregierung und Ministerpräsident Erwin Teufel im Kloster Bebenhausen und einem emotionalen Erlebnis. Auf die Frage von Herrn Göncz, was uns denn mit Ungarn verbindet, erhielt er die Antwort: Unsere Heimat ist hier in Deutschland, unsere Wurzeln aber liegen in Ungarn. Als wir dann im zweiten Auftritt Dúnántuli tanzten und dazu sangen, hielt ihn nichts mehr auf seinem Platz. Er hatte Tränen der Rührung in den Augen, als er uns auf der Tanzfläche umarmte.
1991 war, abseits der Politik, ein Jahr der Entscheidungen. Das UFE war 20 Jahre alt, der Frühlingsball, unsere jährliche Traditionsveranstaltung verzeichnete rückläufige Besucherzahlen, unser ungarisches Repertoire umfasste stolze 16 Tänze – was also tun wir damit?
Wir veranstalteten einen letzten bombastischen Jubiläumsfrühlingsball mit der Kapelle Szélkerek aus Bonyhád und einem Vorprogramm auf einer kleinen Bühne im Foyer der Stadthalle sowie den Spinning Twins mit Artistic & Comedy im Foyer- und Saalprogramm. Eine grandiose Veranstaltung der Superlative und ein wirklich würdevoller Abschluss unserer Frühlingsballtradition. Ab da präsentierten wir unsere Jahresarbeit mit den Nachwuchsgruppen bei den Schwabenbällen und im kleineren Rahmen in einer Herbstveranstaltung.
Im Herbst des gleichen Jahres gingen wir noch mit der ungarischen Volksmusik-kapelle Varacskos Disznók, Kálmán Balogh am Zymbal und unserem 2-stündigem Live-Programm nach der Premiere in Wernau auf „Tournee“ nach Heidenheim und in die Liederhalle. Wir haben alles gegeben.
Ich weiß nicht, wie wir das alles damals geschafft haben. Und alles ohne die heutigen digitalen Möglichkeiten und Erleichterungen – oder gerade deshalb? Gerade weil wir uns auf eine Sache konzentrieren mussten, weil hier Kreativität, Einfallsreichtum und Engagement gefragt waren und weil das Ergebnis dieser Anstrengungen hautnah und immer in einer Gemeinschaft erlebbar war. Anonymität war zu dieser Zeit quasi ein Fremdwort.
Noch sind wir nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Es gibt noch einiges zu berichten.

Bleibt gespannt.
Eure Babs

J H - 18:41 @ 50 Jahre